DDR-Identität

Die TeilnehmerInnen der Sächsischen Längsschnittstudie wurden alle 1973 in der ehemaligen DDR geboren und wuchsen bis zur Wiedervereinigung dort auf. Da Daten bereits aus den Jahren 1987 bis 1989 – also vor der deutschen Einheit – vorliegen, kann hier wie in keiner anderen Studie untersucht werden, wie sich die Sozialisation in der DDR auswirkte und bis heute auswirkt.

Aus den drei Erhebungen 1987 bis 1989 vor der Wiedervereinigung wurden
zehn Fragen ausgewählt, die in jeder dieser Wellen gestellt und von denen
aufgrund ihres Inhalts und ihrer Formulierung angenommen wird, dass sie
geeignet sind, den Grad der Systemidentifikation mit dem Sozialismus in der
DDR abzubilden. Dazu gehörten z. B. :

  • „Ich habe in der DDR eine gesicherte Zukunft“ (Antwortmöglichkeiten: 1 vollkommen, 2, 3, 4, 5 überhaupt nicht)
  • „Ich fühle mich mit der DDR als meinem sozialistischen Vaterland eng verbunden“ (Antwortmöglichkeiten: 1 vollkommen, 2, 3, 4, 5 überhaupt nicht)
  • „Ich bin bereit, die DDR jederzeit mit allen meinen Kräften zu verteidigen“ (Antwortmöglichkeiten: 1 vollkommen, 2, 3, 4, 5 überhaupt nicht)
  • „Dem Sozialismus gehört die Zukunft, trotz zeitweiliger Rückschläge“ (Antwortmöglichkeiten: 1 vollkommen, 2, 3, 4, 5 überhaupt nicht)

Alle 10 Fragen wurden so kodiert, dass ein höherer Wert eine höhere Zustimmung ausgedrückt. Die Antwortmöglichkeiten wurden dann aufsummiert. Es ergeben sich drei Werte für die Systemidentifikation (1987, 1988, 1989). Der theoretische Wertebereich der Skala reicht dann von 0 (vollkommene Ablehnung) bis 40 (vollkommene Zustimmung). Werte bis 20 drücken eher Ablehnung, Werte größer 20 eher Zustimmung aus. Weiterhin wurde für alle 30 Fragen 1987 bis 1989 ein Gesamtwert der Systemidentifikation vor der Wiedervereinigung errechnet (Addition und Division durch 3) (ausführlich zur Methode s. Berth et al., 2010).

Der Wert für die Systemidentifikation betrug 1987: 29,3, 1988: 26,1 und 1989: 22,9. Die Identifikation mit dem Sozialismus in der DDR ging somit bei den SchülerInnen von 1987 bis 1989 signifikant zurück. Die Männer waren dabei tendenziell etwas systemkritischer als die Frauen. Der Gesamtwert der Systemidentifikation 1987 bis 1989 wurde in drei Gruppen unterteilt (niedrige, mittlere, hohe Systemidentifikation). In vielen Indikatoren der Längsschnittstudie zeigt sich auch in den Erhebungsjahren nach der Wiedervereinigung ein deutlicher Einfluss der vor 1990 gemessenen Einschätzung.

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Abbildung: Zustimmung zur Aussage „Ich bin froh, dass es die DDR nicht mehr gibt“ in Prozent, unterteilt nach der Systemidentifikation vor der Wiedervereinigung, 2000 – 2020 (c) (r) Sächsische Längsschnittstudie, Prof. Dr. Hendrik Berth

Die Abbildung zeigt, dass die Zustimmung zur Aussage „Ich bin froh, dass es die DDR nicht mehr gibt“ bei den ehemaligen Systembefürwortern (hohe Systemidentifikation) deutlich geringer ist (31 bis 45 % Zustimmung) als bei den ehemaligen Systemgegnern (niedrige Systemidentifikation, 50 bis 70 % Zustimmung). Die kritischere Sicht auf den Sozialismus in der DDR – gemessen vor 1990 – wirkt auch mehr als 30 Jahre danach noch fort. Die Zustimmung zu dieser Aussage hat bei den ehemaligen Systemgegnern deutlich zugenommen von 50 % im Jahr 2000 auf 70 % im Jahre 2020. In der Stichprobe insgesamt und bei der Gruppe der ehemaligen Systembefürwortern hat sich die Einschätzung kaum verändert.

In weiteren Auswertungen wurde untersucht, ob der Besuch einer Kinderkrippe in der DDR sich im späteren Lebensverlauf auf das Befinden, auf Einstellungen und Meinungen auswirkt. Es gab Forscher, die die Meinung vertraten, dass der Krippenbesuch wesentlich dazu beiträgt, dass autoritäre und rechtsextreme Einstellungen im Osten Deutschlands deutlich verbreiteter sind. Von den TeilnehmerInnen der Sächsischen Längsschnittstudie gaben bei der Erhebung 2007 65,8 % an, eine Krippe besucht zu haben. 31,1 % waren nicht in einer Krippe und 3,0 % konnten sich daran nicht erinnern. Intensive Analysen vieler verschiedener Variablen etwa zum psychischen Befinden (Berth et al., 2010) oder zu rechtsextremen Einstellungen (Berth et al., 2009) erbrachten keine Hinweise auf einen (schädlichen) Einfluss des Krippenbesuchs.

Quellen:

Berth, H., Förster, P., Brähler, E., Zenger, M. & Stöbel-Richter, Y. (2010). „Wir Thälmannpioniere lieben unser sozialistisches Vaterland, die Deutsche Demokratische Republik.“ – Was bleibt davon nach 20 Jahren? In E. Brähler & I. Mohr (Hrsg.), 20 Jahre deutsche Einheit – Facetten einer geteilten Wirklichkeit (S. 155-171). Gießen: psychosozial Verlag,

Berth, H., Förster, P., Balck, F., Brähler, E. & Stöbel-Richter, Y. (2010). Der Einfluss des frühkindlichen Krippenbesuchs auf die Psyche im jungen Erwachsenenalter. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 60, 73-77.

Berth, H., Förster, P., Balck, F., Brähler, E. & Stöbel-Richter, Y. (2009). Fördert der Besuch einer Kinderkrippe das Entstehen rechtsextremer Einstellungen? Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 41, 375–384.