Geschichte

Die Sächsische Längsschnittstudie (Beginn 1987) ist eine von rund 20 Längsschnitt-/Panelstudien, die vom Zentralinstitut für Jugendforschung der DDR in Leipzig (ZIJ, Direktor Prof. Dr. Walter Friedrich) zwischen seiner Gründung 1966 und seiner „Abwicklung“ 1990 organisiert wurde, in diesem Falle gemeinsam mit der Universität Leipzig und der Pädagogischen Hochschule Zwickau. Sie schloss an eine inhaltlich faktisch identische Längsschnittstudie ebenfalls bei älteren SchülerInnen der Klassenstufe 8 bis 10 in den Jahren 1983 bis 1985 an.

Die Jugendforschung in der DDR hatte bereits seit Mitte der 80er Jahre festgestellt, dass die Identifikation der Jugendlichen mit der DDR, mit dem Sozialismus überhaupt, nach ihrem Gipfelpunkt Anfang der 70er Jahre zurückging, die Zweifel an der Politik der SED-Führung auf dem Hintergrund der krisenhaften Entwicklungen in der DDR immer größer wurden. Von diesen regressiven Tendenzen ausgenommen war jedoch ihre Überzeugung, in der DDR eine sichere Zukunft zu haben.

Im Mittelpunkt der Forschung stand anfangs die langfristige Analyse der Veränderungen der Lebensorientierungen der SchülerInnen, ihrer Zukunftserwartungen, ihrer Lernleistungen und Lernmotivation, ihres Medienverhaltens sowie ihrer politischen Grundeinstellungen, insbesondere der Bindung an die DDR und an das sozialistische Gesellschaftssystem. Breiten Raum nahmen auch Analysen zur Orientierung auf das Klassen- bzw. FDJ-Kollektiv ein (Mehr: Fragestellungen).

Die Ergebnisse aus dieser ersten Phase der Studie vor der Wende (1987 – Frühjahr 1989) spiegeln die Enttäuschungen der damals 14- bis 16-jährigen Panelmitglieder vom „real existierenden Sozialismus“ in den letzten Jahren der DDR wieder.

Die TeilnehmerInnen schlossen 1989, d. h. noch vor der Wende in der DDR und der deutschen Wiedervereinigung, ihre schulische Ausbildung an der Polytechnischen Oberschule (POS) ab. Nach Abschluss der eigentlich auf drei Wellen angelegten Untersuchung erklärten sich Anfang 1989 ursprünglich 587 TeilnehmerInnen bereit, an weiteren Untersuchungen teilzunehmen (Mehr: TeilnehmerInnen).

Dann kam die friedliche Revolution im Herbst 1989 und die deutsche Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Unter erheblichem Aufwand, v.a. durch Studienvater Prof. Peter Förster, wurde die Studie seitdem fortgesetzt. Annährend 400 Personen (70 %) sind bis heute der Studie treu geblieben. Bei der Sächsischen Längsschnittstudie handelt es sich demnach nicht um eine ein- oder mehrmalige Meinungsumfrage, sondern um eine in ihrer Anlage ungewöhnliche, weil Gesellschaftssysteme übergreifende sozialwissenschaftliche Langzeitforschung.

Seit Beginn der Studie ist jedem/jeder Teilnehmenden eine individuelle, sechsstellige Nummer zugeordnet. Dadurch ist es möglich, einen Einstellungswandel bei einzelnen Teilnehmenden oder bestimmten Gruppen festzustellen. Die Adressen der Befragten sind getrennt davon gespeichert, sodass die Anonymität gewährleistet ist. In den drei ersten Erhebungen erfolgten die Befragungen während der Schulstunde im Klassenzimmer. Dies entspricht dem damals üblichen sozialwissenschaftlichen Forschungsvorgehen. Seit 1990 werden die Bogen den Teilnehmenden postalisch nach Hause geschickt. Die Befragungen erfolgten etwa einmal jährlich. Seit 2010 gibt es die Studie auch als Internet-Umfrage.

Die wissenschaftliche Begleitung des Weges der Jugendlichen bzw. Erwachsenen aus dem Gesellschaftssystem der DDR in das der Bundesrepublik, von einem/einer DDR-BürgerIn zu einem/einer BundesbürgerIn, insbesondere Analyse und Dokumentation des politischen Mentalitätswandels seit der Wende und der Vereinigung, als Folge der Transformation Ostdeutschlands stehen seitdem im Mittelpunkt der Untersuchung. Die generelle Forschungsfrage ist, wie sie mit dem gegenwärtigen kapitalistischen System zurechtkommen, ob bzw. inwieweit mit der zunehmenden Zeit, die in dem System bereits gelebt wurde, auch eine politische Identifikation mit dem Kapitalismus bzw. mit der Bundesrepublik Deutschland entsteht, welche Einflussfaktoren eine solche Bindung fördern bzw. hemmen. Die Analyse von Langzeitwirkungen früherer Bindungen an das sozialistische System und von Langzeitwirkungen der Rezeption westlicher Sender auf die Herausbildung einer politischen Identifikation mit dem jetzigen Gesellschaftssystem stellt einen weiteren Schwerpunkt dar. Die Studie kann dabei auf Daten aus der Zeit vor der Wende zurückgreifen (Mehr: Ergebnisse).

Seit der 16. Welle (2002) wird das Thema Arbeitslosigkeit und Gesundheit intensiv untersucht (Mehr: Ergebnisse). Einen weiteren neuen Schwerpunkt stellen Fragen zu Partnerschaft und Familiengründung dar. Seit 2010 wird die Studie auch als Online-Erhebung durchgeführt, dazu wird ein etabliertes und datensicheres Umfragsystem verwendet. Etwa 2/3 der TeilnehmerInnen ziehen mittlerweile die Internetvariante dem klassischen Papierfragebogen vor. Mit der Onlinevariante ist die Durchführung und Auswertung der Studie schneller, ökologischer und kostengünstiger möglich.

Seit dem Jahr 2006 gibt es die Studienhomepage unter der Adresse wiedervereinigung.de/sls. Seit 2014 gibt es eine facebook-Seite der Studie zur Verbreitung aktueller Ergebnisse. 2011 wurde die Studie bei wikipedia erfasst.

2017 feierte die Studie ihr 30jähriges Bestehen. Die mittlerweile 33. Erhebungswelle wurde 2022 durchgeführt. Die Fortsetzung in den nächsten Jahren ist geplant.